14.05.2025
Michael Suter hat seine erste Saison als Headcoach und Sportlicher Leiter beim TSV St.Otmar hinter sich. Im Interview schaut er zurück auf die intensiven vergangenen Monate, erzählt von der Entwicklung der Mannschaft und zeigt auf, was es heute braucht, um regionale Talente an die Spitze zu führen.
Michael Suter, deine erste Saison in St.Gallen ist vorbei. Wie fühlst du dich in der Ostschweiz?
Ich fühle mich sehr wohl. Ich bin richtig angekommen und ich spüre, wie sehr ich mich schon mit der Aufgabe identifiziere und mein Herz gelbschwarz schlägt. Es ist ein grosses Projekt mit vielen Herausforderungen, auf und neben dem Feld. Die ganze Handballregion mit der Marke St.Otmar als Leuchtturm und Zugpferd steht dabei im Zentrum, und das motiviert mich enorm.
Wie blickst du heute auf die ersten Schritte der Saison zurück?
Es war sehr intensiv. Die Arbeit hat ja schon vor dem vergangenen Sommer begonnen. Wir wussten, dass ein grosser Umbruch in der Mannschaft ansteht, der Geduld und viel Beharrlichkeit braucht. Das war für mich ebenso Neuland; es war aber von Beginn weg ein super Miteinander. In der Sportkommission, im Vorstand, im ganzen Verein. Ich fühle mich sehr unterstützt, wir lösen vieles als Team.
Was ist die Essenz deiner Arbeit bei St.Otmar?
Über allem steht die langfristige Vision 'Spitzenhandball in St.Gallen'. Dafür müssen wir jetzt versuchen, gewisse Weichen richtig zu stellen. Das geht nicht alleine als St.Otmar, sondern dazu braucht es die ganze Region. Und das ist überall zu spüren. Ich freue mich sehr über den konstruktiven Austausch mit den Vereinen in den vergangenen Monaten. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir im Nachwuchs die nächsten grossen Schritte machen müssen, um mittelfristig eine Perspektive zu schaffen, um kontinuierlich Spieler für die erste Mannschaft auszubilden. Regionale Handball-Talente verfolgen den Traum, eines Tages für St.Otmar in der höchsten Liga aufzulaufen. Wir wollen aufzeigen, dass dieser Traum Wirklichkeit werden kann. Und oberste Priorität hat natürlich, den Verein insgesamt auf eine sichere und gesunde Basis zu stellen; nicht nur sportlich.
Und dann wurde die Saison im Herbst sportlich noch komplizierter als erwartet.
Wir wussten um die grosse Herausforderung. Es sind viele Spieler neu dazugestossen, das Team musste von Grund auf entwickelt werden. Und wir wussten auch, dass wir noch nicht über die gleiche Kaderbreite verfügen wie andere Teams; Ausfälle von Schlüsselspielern wirken sich entsprechend stärker aus. Im Herbst waren mehrere Leistungsträger gleichzeitig nicht einsatzfähig. Das war eine sehr schwierige Situation; wir haben auch mit einer sehr jungen Mannschaft gute Leistungen gezeigt, aber mehrmals knapp keine Punkte geholt. Darum waren wir faktisch seit Oktober im Abstiegskampf. Der Druck war entsprechend gross.
Wie hat sich der Druck mannschaftsintern ausgewirkt?
Da muss ich dem Team und auch dem ganzen Umfeld ein grosses Kompliment machen, wie ruhig wir alle geblieben sind. Der Spirit in der Mannschaft mit tollen Charakteren wurde immer besser. Die Einheit ist zusammengewachsen, alle Beteiligten haben gerne Zeit miteinander verbracht, auch neben der Halle. Das gab uns viel Mut und Hoffnung, auch in der schwierigen Zeit. Es gab nie irgendwelche Schuldzuweisungen. Das macht mich stolz. Darum habe ich wirklich jeden Tag sehr gerne weitergearbeitet, trotz der schwierigen Lage.
Die gute Zusammenarbeit mit dem SV Fides hat im Januar mit der Verpflichtung von Robert Weber zu einem Coup geführt. Gleichzeitig gingen mit Moritz Heinl und Nevio Niederer zwei Zukunftshoffnungen den umgekehrten Weg. Zeigt das das Potenzial dieser Kooperationen?
Ja, absolut. Robert hat uns mit seiner Klasse und mit seiner Persönlichkeit in der zweiten Saisonhälfte sehr geholfen. Umgekehrt haben unsere Talente bei Fides in der NLB viel Spielzeit erhalten und ihren Teil zum Ligaerhalt beigetragen. Das schweisst uns zusammen, auch über die Stadt hinaus. Wir haben die Zusammenarbeit ja auch mit anderen Vereinen der Region intensiviert. Das gipfelt in der kommenden Saison nun sogar in einer gemeinsamem U19-Elite-Mannschaft der OHA, Arbon und Gossau. Wir bündeln die Kräfte, statt uns gegenseitig zu konkurrieren.
In der zweiten Saisonhälfte zahlte sich die gute Arbeit dann auch sportlich aus.
Wir haben im Januar sehr gut gearbeitet, endlich wieder fast in Komplettbesetzung. Neben dem Zuzug von Robert Weber war auch die Verpflichtung von Emil Jessen ein Glücksfall. Beide brauchten wenig Angewöhnungszeit, beide kamen in einem funktionierenden Team rasch zurecht. Und dann hat uns das Comeback von Aurel Bringolf im März auch noch eine Extraportion Routine und Absicherung auf der so wichtigen Torhüterposition gegeben. Wir haben gespürt, dass es in eine gute Richtung geht. Schon der deutliche Sieg gegen Basel im ersten Spiel nach der Pause gab uns zusätzlichen Mut.
Es blieb aber trotz allem lange schwierig.
Ja, es war eine enorm harte und ausgeglichene Meisterschaft, mit zehn Teams auf einem guten Niveau. So gesehen war es für uns wahrscheinlich die schwierigstmögliche Saison für diesen Umbruch, gerade auch mit den verschiedenen Ausfällen und stets nötigen Umstellungen. Die zwei Auswärtsniederlagen im Februar in Bern und Thun – trotz guter Leistungen – haben es sehr kompliziert gemacht. Danach hätte man nicht mehr viel auf uns gewettet.
Und dann folgten ausgerechnet Siege gegen Kriens-Luzern und die Kadetten.
Die gehören ganz bestimmt zu den unvergesslichen Momenten dieser Saison. Da haben wir uns mit starken Auftritten auch das Momentum verdient, das im Herbst in engen Spielen das eine oder andere Mal gefehlt hat. Wenn man nur das letzte Saisondrittel betrachtet, waren wir die drittstärkste Mannschaft der Liga. Und das trotz des grossen Drucks. Der war gerade in den letzten beiden Spielen gegen Winterthur und in Kreuzlingen, die wir für die Playoff-Quali gewinnen mussten, enorm. Die Kulisse im Heimspiel gegen Pfadi war grandios und hat ihren Teil zum Erfolg beigetragen. Und dass wir in Kreuzlingen in dieser Situation fähig waren, eine der besten Saisonleistungen abzurufen, und zwar in sämtlichen Mannschaftsteilen, war aussergewöhnlich.
Um wieder auf den Anfang zurückzukommen: St.Otmar hat dich nicht zuletzt verpflichtet, um die talentiertesten Spieler der Region zu fördern und in die erste Mannschaft zu integrieren. Was ziehst du da für ein Zwischenfazit?
Die Entwicklung stimmt mich positiv. Andrin Dörwaldt und Noah Bolt haben bereits in entscheidenden Situationen grosse Rollen gespielt und viel Verantwortung übernommen. Moritz Heinl hat gerade in der schwierigen Phase im Herbst sein grosses Potenzial unter Beweis gestellt; er hat auch die Chance bei Fides in der zweiten Saisonhälfte genutzt und sich weiterentwickelt. Jan Brülisauer und Noah Küffer haben erste Schritte in der höchsten Liga gemacht, auch Justin Kürsteiner wird weiter gefördert. Mit Andrin Schneider haben wir den Vertrag verlängert; Simon Locher fehlte leider verletzungsbedingt. Dazu haben wir mit Nevio Niederer und Etienne Kobler weitere regionale Hoffnungsträger, die schon regelmässig bei uns trainieren. Das ist möglich dank unseren drei Einheiten pro Woche, die tagsüber stattfinden. So können sie ganz normal abends bei ihren Stammvereinen trainieren. Auch das ist ein wichtiger Punkt in der Zusammenarbeit, das wollen wir unbedingt weiterführen und intensivieren.
Wie wichtig sind solche individuellen Übergangslösungen zwischen Nachwuchs und Spitze?
Die sind alternativlos. Es ist heute praktisch nicht mehr möglich, dass ein junger Spieler direkt in der höchsten Liga Fuss fasst. Das ist ein Entwicklungsprozess, der geht nicht von heute auf morgen. Es braucht eine Übergangszeit und wir verfolgen eine Strategie, diese Spieler über mehrere Jahre an diese Aufgabe heranzuführen. Auf diesem Weg wird es auch Rückschläge geben, aber das bringt uns nicht von unserem Ziel ab. Wir setzen voll auf diese regionalen Talente und wollen sie behutsam und nachhaltig an die Spitze heranführen, in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnervereinen.
Wie sieht die aktuelle Planung aus?
Im Mai trainieren und arbeiten wir als ganze Mannschaft intensiv, dazu probieren wir auch mal andere Sportarten aus und geniessen verschiedene Teamevents. Im Juni hat die Mannschaft Ferien. Anfang Juli beginnt die Vorbereitung, dann stossen auch die neuen Spieler dazu, unter anderen Tobias Wetzel als regionale Identifikationsfigur. Wir wollen selbstverständlich den Schwung aus dem letzten Meisterschaftsdrittel in die neue Spielzeit mitnehmen. Aber uns muss bewusst sein, dass die Bäume weiterhin nicht in den Himmel wachsen. Wir müssen darum auch die kommenden Schritte und die neue Saison wieder mit viel Demut angehen.
TSV St.Otmar Handball St.Gallen
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